Bilder vom Ende der Isolation    
     
Im Laufe der Geschichte kann es immer Episoden geben, von denen man sich wünscht, dass sie die Geschichte seien. Indem diese Gemälde des "Desaïllaments" (wörtl. De-Isolation) zusammengetragen werden, möchte man die Möglichkeit prüfen, ob nicht eine weitere Seite der Wirklichkeit erscheine, die in dem Panorama, das man zu beschreiben sucht, noch nicht sichtbar geworden ist. Dieser Wunsch rührt vor allem in einem Punkt an dem Konzept des Endes der Isolation selbst: Etwas wird hier als Teil eines Ganzen dargestellt, das genau betrachtet zu drei unterschiedlichen Schauplätzen gehört. Ein flüchtiger Blick kann diese verwechseln und auf einen gemeinsamen Nenner bringen - "das Mediterrane". Man greift auf diesen Begriff zurück als eine Art Alibi, um schließlich das zu rechtfertigen, was unter "dem Mediterranen" auch verstanden wird: Faulheit, Trägheit, Schwerfälligkeit als Ausdruck einer gewissen Sensualität oder als Symptom für irreversible intellektuelle Sklerose. Dabei ist es unbedingt notwendig sich vor Augen zu halten, dass in Wirklichkeit jede der Inseln, von denen diese Bilder stammen, aus eigenen Antrieb heraus die Isolation beendete, ohne dabei auf die anderen Inseln hinüberzuschauen und ohne auswärtige Traditionen aufzunehmen, die im extremsten Fall Impulse zum Wechsel hätten geben können.

Die letzten Schritte zur Beendigung der Isolation, die in dieser Ausstellung Ausdruck finden, verbindet eine zeitliche Übereinstimmung, die jedoch stärker im Kontext von Kommunikationsentfaltung als unter dem gemeinsamen Nenner "Insel" oder Inseldasein betrachtet werden sollte. Dieser Weg ermöglicht es auch, die jeweiligen persönlichen Lebensgeschichten besser zu verstehen, und er erlaubt es auch, in einem Zusammenhang gesehen, von einem kollektiven Phänomen zu sprechen, bei dem es sich um die beschleunigte Überwindung von historischer Asynchronie handelt. Um also diesen konkreten historischen Moment aus einem unvoreingenommenen Blickwinkel betrachten zu können, sollte man sich in gewisser Weise zurückversetzen in eine Zeit der historischen Asynchronie, die die Geschichte der Malerei auf den Balearen - auf jede der Balearen-Inseln (und den Pityusen) - seit der Zeit der Gotik bestimmte.

Isolation kann als geographische Ferne von politischen, Kultur generierenden Zentren definiert werden. Sie ist eine mögliche, wenn nicht wahrscheinliche Erklärung für säkulare Stagnation. Die sukzessiven künstlerischen Bewegungen erreichten die Inseln mit Verspätung, wenn sie sie überhaupt erreichten: die Asynchronie. Diese lässt sich auch erklären durch den störrischen Widerstand der Inselgesellschaft, all das zu übernehmen, was ihren Lebensrhythmus zu verändern drohte und / oder die Ursprünge ihrer Tradition in Frage stellte.

So hatten Bewegungen wie der Realismus oder der Impressionismus nur geringen Einfluss auf das Kunstschaffen der Balearen, trotz des Einflusses von Malern wie Ricard Anckermann, der eine Zeit in Paris verbrachte, oder Santiago Rusiñol, der das Pariser Kulturleben kannte und ab der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert lange Zeit auf Mallorca - und auch auf Ibiza - verbrachte. Mit der kurzen und abrupten Kameradschaft von Joaquim Mir und der zwanglosen Zusammenarbeit mit Degouve de Nuncques brachte Rusiñol frischen Wind in die mallorquinische Malerei. Auch wenn dieser Prozess bereits begonnen hatte, steckte die Malerei auf der Insel in jener Erstarrung, die für in sich selbst verharrende Epochen charakteristisch ist und die durch mangelnden Erneuerungswillen steril erscheinen. (Neben dem bereits erwähnten Anckermann sollten auch Antoni Ribas und Joan Bauzà erwähnt werden. Beide waren als Künstler zwar Produkte ihrer Zeit, doch gelang es ihnen, sich von einem großen Teil des traditionellen Ballastes zu befreien. Man sollte auch nicht vergessen, dass die durch sie repräsentierte Geschichte, die Geschichte der mallorquinischen Malerei, auch andere brillante Momente erlebte, wie zum Beispiel durch Antoni Fuster Forteza und Joan Fuster Bonnín).

Der Kontakt der drei von jenseits der Inseln stammenden Künstlern mit den einheimischen Malern führte zu einer Woge, die unberührte Gegenden umspülte - unberührt auf der Insel. Hierbei taucht eine der Hauptfiguren der mallorquinischen Kunst im 20. Jahrhundert auf, Antoni Gelabert (Palma 1877 - Deià 1932). Gelabert repräsentiert die Figur des Künstlers, der nicht nur unverstanden, sondern auch kaum geschätzt wurde und ein Opfer der herrschenden Gleichgültigkeit war. Genau deshalb wirft seine Persönlichkeit ein Licht auf eine bestimmte, merkwürdige Akkumulation künstlerischer Eigenarten, auf Grund derer dem Werk immer etwas Außergewöhnliches anhaftete - es bleibt isoliert und hat keine Möglichkeit, den historischen Moment zu befruchten (wie im Falle von J.A. Fuster Valiente). Wir sprechen hier nicht von dem Genie, das mit seinem Schwung den Lauf der Geschichte radikal beschleunigt, sondern von dem Künstler, der eine Brücke baute, die jedoch von niemandem überschritten wird. Man kann auf jeden Fall sagen, dass die auswärtigen Beziehungen zur Entfaltung der mallorquinischen Malerei beitrugen, aber nach und nach der neugewonnene Mut wieder verloren ging, um es sich in einer selbstgefälligen Routine bequem zu machen.

Möglicherweise wird das Werk Gelaberts in seiner illustrativen Funktion von den Werken Juli Ramis (Sóller 1909 - Palma 1990) übertroffen. Die Laufbahn dieses Malers ist bestimmt von einer unsteten Bereitschaft, sich über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg der Stile seiner Zeit zu bedienen und dabei ein Geschick an den Tag zu legen, das nicht mit Mimikry verwechselt werden sollte - etwas, was manchmal unverhältnismäßig große Anstrengung verlangt.

Juli Ramis zog von Mallorca nach Paris dank der Hilfe von Marie Laurencin, die einen Narren an ihn gefressen hatte, nachdem sie ihn am Strand von Port de Sóller gesehen hatte - trotz seiner kurzen Statur und einer Nase, die ihm Komplexe verursachte und die er schließlich operieren lassen würde. Picasso empfahl ihn seinem Kunsthändler Kahnweiler, und er pflegte Umgang mit André Dérain, Christian Zervos, Wols, Wilfredo Lam, Paul Bowles, Tennesee Williams, Truman Capote und auch mit Nicolas de Staël, Jean Fautrier, Henri Michaux, Poliakoff. 1960 repräsentierte er dann Spanien bei der Biennale von Venedig und im darauffolgenden Jahr in Alexandria und Sao Paulo. Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass er auf Messers Schneide lebte, immer im Kielwasser der großen Genies dieses Jahrhunderts. Er wäre eigentlich nur zu verständlich, wenn eine derartige Persönlichkeit entscheidenden Einfluss genommen hätte, um die zeitgenössische mallorquinische Malerei aus der Isolation zu führen, die in einer Atonie verharrte, gleichwohl sie schätzenswerte Rückwirkung von verschiedenen europäischen Kunstbewegungen erfuhr, oft dank der Anwesenheit bedeutender ausländischer Künstler wie Hermen Anglada Camarasa und einiger seiner Schüler, vor allem der des Argentiniers Tito Cittadini.

Dass Ramis überhaupt keinen Einfluss auf die Kunst auf Mallorca hatte, auch nicht in der Nach-Bürgerkriegszeit, macht die Widerstandskraft seiner Kunst deutlich. Er wehrte sich gegen einen künstlerisch anämischen Traditionalismus, der gesellschaftliche Anerkennung genoss und sich mit den lieblichen Landschaften zufrieden gab, die die Insel den Malern großzügig bietet. Die Kunst verharrte in Trägheit, mit einem Hang zur ständigen Wiederholung von Themen und Manieren. (Schließlich hat man sogar von der negativen Wirkung des Nordwestens der Insel gesprochen, den dieser auf auswärtige Maler hatte, und die die Möglichkeiten der Landschaft, des Himmels und vor allem des Lichts in Frage stellte, das auf wundersame, fast mythische Weise die Leinwände der Landschaftsmaler überflutete, die ihre Staffeleinen irgendwo im Tramuntana-Gebirge aufgestellt hatten. Diese These muss, wenigsten in ihrer ursprünglichen Konzeption, Josep Pla zugeschrieben werden, der sich in dem Aufsatz "Sobre la pictoricitat d´un paisatge" auf die rhetorische Lobpreisung des Tamuntana-Gebirges bezieht, die die Maler veranlasste, dort nach etwas Übernatürlichem zu suchen. Der Schriftsteller empfahl ihnen, das Hinterland zu malen, die Menschen zum Beispiel und ganz allgemein die gewöhnlichen Dinge, die zum menschlichen Umfeld und zum Alltag gehören. Josep Pla untermauerte diese These mit den Erfahrungen, die einige katalanische Maller auf Mallorca gemacht hatten, für die seiner Meinung nach Anglada Camarasa ein Beispiel war.

Menorca konnte zu Beginn des 20 Jahrhunderts auf keine Tradition in den Bildenden Künsten zurückblicken. Die Anwesenheit einiger Persönlichkeiten, wie der frühe Chiesa oder Pasqual Calbó, zu denen man noch eine unregelmäßige Reihe anderer Namen hinzufügen müsste, erlaubte keine künstlerische Kontinuität und deshalb konnte man auch nicht von einer Tradition sprechen. Der junge Maler Joan Vives Llull (Maó 1901 - 1982) war sich durchaus bewusst, dass sein direkter Vorgänger Hernández Monjo nicht der Beginn, sondern vielmehr das Ende einer Entwicklung darstellte. Er spürte die Notwendigkeit, sich in eine Tradition einzufügen, die, wenn sie schon nicht in Beziehung zur Geschichte der menorquinischen Kunst stand, dann doch wenigsten zu einem der potentiellen Orte der Moderne. Diese Tradition würde er dann in Pollença suchen - und finden. Dort hatte sich Anglada Camarasa mit einer Gruppe von Schülern aus seiner Pariser Akademie niedergelassen. Auf lange Sicht gesehen öffnete diese Beziehung ein neues Kapitel in der Geschichte der Malerei auf Menorca und sie war der Anfang einer notwendigen Tradition, denn die zukünftigen Künstler konnten dort neue Bezugspunkte knüpfen. Wie auch immer, Vives Llull beendete die Isolation Menorcas, knüpfte aber keinen Kontakt zur europäischen Avantgarde. (Anderseits hinterließ das kurze menorquinische Abenteuer von Hans Hartung Anfang der dreißiger Jahre keine Spuren in einer Kunstlandschaft, in der Vives Llull sich darum bemühte, die wichtigsten Erkenntnisse des Meisters Anglada und seinem Freund Tito Cittadini zu übernehmen.)

   

 

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