Eine ähnliche Rolle wie Vives Llull auf Menorca spielte
Narcis Puget Viñas (Ibiza 1874 - Santa Eulària 1960) auf Ibiza. Möchte
man die Parallelen zwischen beiden erhellen, dann ist es notwendig
darauf hinzuweisen, dass Angladas Rolle in der Karriere des menorquinischen
Malers im Falle Pugets von Joaquim Sorolla übernommen wurde, auch
wenn die Beziehung zwischen dem Valencianer und dem jungen Maler aus
Ibiza nicht sehr stetig war. Es sollte ebenfalls betont werden, dass
dies ein Ende der Isolation der Ibizenkischen Malerei mit Blick auf
die anderen Balearen-Inseln bedeutete, innerhalb eines Rahmens, in
dem der Postimpressionismus - oder "Postsorollismus" - den stärksten
lokalen Einfluss hatte.
Dessen ungeachtet ist es wichtig, auf die aktive Anwesenheit auf Ibiza
eines Malers von expressionistischen, Goya verwandten Format aufmerksam
zu machen, Antoni Marí Ribas - "Portmany" (Ibiza 1906 - 1974). Neben
der großen Bedeutung seines Œuvres - bei denen vor allem die mit Chinatinte
gemalten Werke auf Papier hervorstechen - verkörperte er das Modell
eines Künstlers, der großen Einfluss auf die zukünftigen Maler auf
Ibiza hatte, wie Vicent Calbet oder Toni Cardona - Marí Ribas machte
ihnen die Notwendigkeit deutlich, Tradition und Moderne zu verknüpfen.
Es wäre ungerecht, wenn man nicht auch auf einige auf Mallorca unternommene
Versuche aufmerksam machen würde, Kontakt zu knüpfen zu den Künstlergruppen,
die auf dem spanischen Festland die Kunstlandschaft veränderten. Zu
diesem Zweck wurde 1959 nach dem Vorbild der katalanischen Dau-al-Set-Gruppe
oder der kastillischen El-Paso-Gruppe in Palma die Tago-Gruppe gegründet.
Die Gruppe versammelte einige Künstler, die nicht viel mehr verband,
als ihre Ablehnung der versteinerten Landschaftsmalerei, die die offizielle
Malerei auf Mallorca beherrschte. Es lassen sich einige Analogien
feststellen - doch wäre es übertrieben, von Übereinstimmungen zu sprechen:
Zum Beispiel Xam - Clavé, Brunet - Ortega Muñoz und Morell - Brancusi.
Interessant ist dabei, dass die Gruppe der ganz in der Abstraktion
verwurzelten Malerei (Fraver) zu einer gewissen Verbreitung verhalf.
Doch im Großen und Ganzen fanden die Ausstellungen der Tago-Gruppe
nur wenig Anklang und die Existenz der Gruppe war eher von historischen
Bedeutung, denn es gelang ihnen nicht, einen entscheidende Wandel
in der Kunstlandschaft herbeizuführen - der sich trotz allem schon
bald ankündigte.
Als sich während der fünfziger und vor allem der sechziger Jahre die
Lebensumstände der spanischen Nachkriegszeit stetig verbesserten,
wurde Mallorca zu einem Wohnort für ausländische Künstler, die sich
aus ganz unterschiedlichen Gründen auf der Insel niederließen. Diese
reichten von den niedrigen Lebenshaltungskosten bis hin zu einem diffusen
Glauben an die therapeutische Kraft der Balearen-Inseln, insbesondere
Mallorcas. Von diesen Kräften hatte schon Rubén Dario mit großer Bestimmtheit
und unerschütterlichen Überzeugungskraft gesprochen. Sie reihten sich
ein in eine lange Liste ausländischer Künstler, die bereits kurz nach
Ende des Bürgerkriegs auf die Insel zurückgekehrt waren und sich im
Allgemeinen in das kulturelle Leben der Insel eingefügt hatten, so
gut man sich in ein solch armseliges Kulturleben überhaupt integrieren
konnte. Die Neuankömmlinge unterschieden sich von den früheren Immigranten
dadurch, dass sie aus sehr lebendigen Kulturkreisen stammten - vor
allem aus Nordamerika, aber auch aus Europa und anderen westlichen
Ländern - und dem Einfluss der Hauptstadt des Imperiums unterlagen.
Dadurch entstand eine genuin nordamerikanische Malerei die im scharfen
Gegensatz stand zum sozialistischen Realismus (Schaffensfreiheit ad
libitum versus sozialistischem Realismus / Diktatur des Proletariats).
Die Neuankömmlinge ließen sich vor allem in Deià, Palma und Galilea
nieder, doch waren die Möglichkeiten, mit dem lokalen Kulturleben
Kontakt aufzunehmen eher gering, aber nicht unbedeutend. So entstand
die Gruppe Es Deu des Teix (1962) als eine erste multikulturelle Erfahrung.
Die Gruppe erreichte keine künstlerischen Höhen und sie wird vor allem
ein weiteres Beispiel für eine an wichtigen Fakten armen Geschichtsschreibung
sein. Anderseits machten sich aber Figuren bemerkbar, die während
dieser Jahre gegen den Strom des vorherrschenden Geschmacks anschwammen:
Dazu zählten unter anderen Jaume Mercant, Martínez Pavía, Pau Fornés,
Lluis Castaldo und der im Vergleich zu den anderen jüngere Joan Roca
Fuster. Verglichen mit der allgemein herrschenden Atmosphäre des Landes
illustrieren die Erfahrungen sowohl der Tago-Gruppe wie auch von Es
Deu des Teix die Warnungen, die Joan Fuster den Mitgliedern gewisser
Avantgarden mit auf den Weg gab: Werdet nicht Epigonen der Zukunft!
Ibiza war der Ort, wo sich eine engere Beziehung der ausländischen
Künstler mit den einheimischen Künstlern entwickelte. Die Insel war
ein Fenster, durch das schon zu Beginn der Nachkriegszeit frischer
Wind blies - die Tore waren von der Diktatur des Generals Franco Bahamonde
verrammelt worden. Ibiza war von Anfang an ein freies Territorium
für die Kunststile, die von der Avantgarde am meisten favorisiert
wurden. Dies war wahrscheinlich nur deshalb möglich, weil die Insel
sich selbst überlassen worden war, die Existenz der Insel ignoriert
wurde und nicht, weil man ein Gebiet absteckte, von dem aus man beobachten
- und überwachen - konnte, was auf der Welt geschah. Erst gegen Ende
der sechziger Jahre erkannte die Diktatur oder, falls dies übertrieben
scheint, einige ihren Anhängern diese Möglichkeit der Insel.
Mit Sicherheit betrachteten einige dieser Personen die Insel nicht
nur als ein Laboratorium für künstlerische Freiheit, sondern sie entwickelten
nach einiger Zeit Aktivitäten, die in der Gründung des Museums für
Zeitgenössische Kunst und in der ersten Biennale mündeten. Es wäre
ungerecht zu behaupten, dass diese Haltung Teil einer Überwachungsstrategie
von Seiten der politischen Machthaber gewesen sei, wenigstens in Hinsicht
auf Personen wie dem Hauptförderer, Florenci Arnan, und einer Reihe
einheimischer und ausländischer Künstler sowie Galeristen, wie Carl
van der Voort, usw. Vielleicht ist es noch zu früh - für andere ist
der rechte Zeitpunkt bereits verstrichen - die Bedeutung zu analysieren,
die Ibiza als pädagogisches Element in der spanischen Kunst spielte.
Es geschah auf Ibiza, dass viele vom Festland stammende Künstler -
aber auch Einheimische - die engen Grenzen der kulturellen Kargheit
der Nachkriegsjahre überwanden. Und mit Sicherheit wird zu gegebener
Zeit eine Liste all der Namen zusammengetragen werden, die entscheidenden
Einfluss auf die Entwicklung der spanischen zeitgenössischen Kunst
hatten. Und in diesem Zusammenhang stehen auch die beiden aus Ibiza
stammenden Künstler dieser Ausstellung, Rafel Tur Costa und Vicent
Calbet, mit denen Ibiza der Anschluss an die zeitgenössischen Kunst
gelang, bei dem man aber auch auf keinen Fall Toni Cardona vergessen
darf.
Auf Mallorca vollzog sich dieser Prozess etwas später und zum besseren
Verständnis müssen in diesem Zusammenhang zwei Galerien in Palma erwähnt
werden. Die Galerie Ariel wurde 1966 gegründet und vertrat vor allem
die unter dem Begriff "Neue Gegenständlichkeit" bekannte Kunst - eine
Richtung innerhalb der Malerei, die durch Robert Llimós, Arranz Bravo,
Bartolozzi, u. a. nach Mallorca gebracht wurde. Die Galerie Pelaires
öffnete 1969 ihre Pforten einer ganzen Reihe von ausländischen Malern,
die sich auf Mallorca und Ibiza niedergelassen hatten, aber auch einheimischen
Künstlern, die den neuen Kunstbewegungen aufgeschlossen waren. Zu
jener Zeit vollzogen sich Veränderungen auf dem Kunstmarkt, die in
der letztgenannten Galerie unmissverständlich Ausdruck fanden. Außerdem
bot die Galerie Pelaires dem mallorquinischen Publikum die Gelegenheit,
Werke einer Reihe von großen Namen der internationalen Kunstszene
kennen zu lernen, die bis dahin noch nicht auf der Insel ausgestellt
hatten (Miró, Calder) oder unbeachtet geblieben waren (Tàpies, Juli
Ramis). Diese beiden Galerien waren Schaufenster der allerletzten
Tendenzen. Ohne sie gleichsetzen zu wollen ermöglichten sie eine völlig
neue Sicht der Kunst sowohl den jungen Menschen, die die Generation
der Sechziger bildeten (eine Generation, die sich Mitte jenes Jahrzehnts
formierte), wie auch dissidierenden Einheimischen, die die auf dem
Markt vorherrschende Kunstrichtung nach und nach zu hinterfragen begannen.
Es ist nicht unerheblich darauf hinzuweisen, dass der Tourismusboom
die Gesellschaft - und auch die Wirtschaft - auf den Balearen veränderte,
doch konnte man kaum darauf vertrauen, dass ein solch fulminanter
Wirtschaftsaufschwung seinen rasenden Rhythmus auch auf das überträgt,
was wir unter Fortschritt verstehen und zu dem auch kulturelle Offenheit
gehört.
Wir erwähnten bereits Joan Miró und es wäre womöglich nicht ganz unnütz,
sich seines "Falls" anzunehmen, um etwas mehr Licht in die zu beschreibende
Kunstlandschaft und ihre Entwicklung zu bringen. Wie allgemein bekannt
wählte Joan Miró zu Beginn des Zweiten Weltkrieg Palma zu seinem Wohnsitz.
Aus verschiedenen Gründen fühlte er sich hier vor den Gefahren politischer
Unterdrückung - unter anderem vor Willkür - sicherer. Es stellt sich
damit die Frage, warum eine Persönlichkeit, die die Kunst des 20.
Jahrhundert entscheidend prägte, während der Nachkriegszeit keinen
Einfluss auf die Malerei seiner direkten Umgebung hatte. Die Antwort
auf diese Frage ist ganz einfach, aber auch komplex. Letzteres erklärt
jedoch Ersterwähntes - Mirós selbstgewählte Isolation im kulturellen
Leben der Insel, unter anderem weil er kein Anzeichen von Veränderung
hinsichtlich einer Situation erkennen konnte, die durch einen hermetischen
Traditionalismus bestimmt war. Es gab nur einen Versuch, dieses gegenseitige
Ignorieren zu überwinden, als nämlich die Künstler der Tago-Gruppe
eine Hommage für Miró planten. Die Initiative führte jedoch zu keinem
sichtbaren Erfolg, denn der katalanische Künstler verweigerte seine
Zusammenarbeit, als er erfuhr, dass man die Behörden um Unterstützung
gebeten hatte. Das Verhältnis zwischen Miró und seinem kulturellen
Umfeld änderte sich nicht, selbst als er zu Beginn der siebziger Jahre
den Wunsch äußerte, mittels verschiedener Projekte seine Spuren in
Palma zu hinterlassen. Doch auch diese Projekte verliefen im Sande,
denn den damaligen politischen Behörden fehlte jedes wirkliche Interesse,
wie sie sehr eloquent darlegten. Miró schien das bestgehütete Geheimnis
Mallorcas zu sein. Dennoch hatte der Künstler seine Bereitschaft bekundet,
sich dem mallorquinischen Kulturleben anzuschließen. In einer Sonderbeilage
der englischsprachigen Zeitung Majorca Daily Bulletin (1967) erschien
der Band "El vol de l´alosa" (Der Flug der Lerche), eine Gedichtssammlung
von Autoren aus Ibiza zu Ehren des Malers, der zu jedem dieser Gedichte
eine Illustration beisteuerte. Bis 1978, der Diktator war bereits
verstorben, hatte man auf Mallorca noch immer keine Ausstellung -
eine große Retrospektive - seines berühmtesten Mitbürgers bewundern
können. Erst Jahre später machte sich sein Einfluss auf die Malerei
der Balearen bemerkbar. Selbstverständlich bestand der Sinn dieser
Malerei nicht darin, den Einfluss Mirós zu reflektieren, doch dieser
Einfluss wurde zu einem Symptom für Weltoffenheit - was insofern paradox
erscheint, als mit "Welt" das Stadtgebiet von Palma gemeint war. Auf
der anderen Seite wurden die Projekte, die der Künstler in Palma plante,
nur zu einem geringen Teil verwirklicht: Nachdem sich die Haltung
der Behörden verändert hatte, schränkten Gesundheitszustand und Alter
des Künstlers seine Vitalität ein. Trotz der Gründung der Stiftung
Pilar i Joan Miró und der Schenkung zweier Skulpturen an die Stadt
Palma - oder das große Wandgemälde von Lluís Castaldo über ein Werk
von Miró -, trotz seiner zeitweiligen Zusammenarbeit mit Kulturinstitutionen
oder Kunstgalerien besteht kein Zweifel, dass sein Erbe weitreichender
gewesen wäre, hätte die mallorquinische Gesellschaft die Anregungen
des Künstlers aufgenommen, als dieser die ersten Versuche unternahm,
seine Isolation auf der Insel zu beenden.
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